Experte vor Ort:
Dr. Ohle Wrogemann, Referent für soziale Initiativen und Koordinator "Integration durch Sport" bei der Sportjugend des Landessportbundes Rheinland-Pfalz
Wir alle bewegen uns jeden Tag und ganz selbstverständlich. Wieso ist Bewegung für uns so wichtig?
Wer sich ausreichend bewegt, bleibt aktiv und regt seinen Geist an. Bewegung steigert das Körperbewusstsein, die Beweglichkeit, Geschicklichkeit, Schnelligkeit sowie die allgemeine motorische Flexibilität und leistet insgesamt einen äußerst wichtigen Beitrag zum Schutz der Gesundheit. Denn sich zu bewegen ist dem Menschen genetisch vorgegeben. Eine regelmäßige Beanspruchung und Übung erhält die grundlegenden Fähigkeiten, die der Körper braucht, um in seinen Funktionen lebenslang leistungsfähig zu bleiben. Außerdem fördert Bewegung den Stressabbau und das Wohlbefinden und ist daher besonders wichtig in Phasen großer Belastung. Ein weiterer Aspekt ist die Erhaltung der Mobilität bis ins hohe Alter. Um möglichst lange aktiv bleiben zu können, sollte man jede sich bietende Gelegenheit im Alltag nutzen, Treppensteigen, Spaziergänge oder kleine Botengänge zu Fuß erledigen. Gerade Seniorinnen und Senioren können so mit wenig Aufwand sehr viel für die Erhaltung ihrer Gesundheit tun. Dabei sollte mit jeder sportlichen Bewegung immer auch Spaß verbunden sein – er ist unser innerer Motor und die einfachste und angenehmste Motivation, um aktiv zu werden.
Kann man sagen, dass es einen Zusammenhang zwischen Bewegung, Ernährung und Gesundheit gibt?
Ja, diese Themen stehen in einem engen Bezug zueinander. Bewegung und frische Luft fördern den Appetit und stimulieren die Körperfunktionen; Durchblutung und Sauerstoff fördern die Aufnahme und Verarbeitung wertvoller Nährstoffe. Eine gute Grundversorgung wiederum ist die Basis für jede Form von Ausdauer und Kraft – und zwar in jedem Alter oder auch nach Krankheitsphasen. Wer also darauf achtet, gute und frische Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, tut Körper und Geist den besten Dienst. Denn auch das Gehirn benötigt ständig Energie, die wir aus Nahrung und Getränken ziehen. Wichtig zu wissen ist hierbei auch: Der Flüssigkeitsbedarf steigt mit wachsender Bewegung.
Wie kann man innerhalb der Familie an das Thema Bewegung herangehen, wenn alle mit im Boot sein sollen und auch der Spaß an der Sache zählt?
Wichtig ist es, Aktivität und Sport fest im Alltag zu verankern. Am besten gelingt das, wenn Sie dabei Ihre persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten berücksichtigen. Wer lieber alleine Sport treibt, der sollte sich nicht zu Gruppenaktivitäten zwingen. Umgekehrt bevorzugen viele Menschen Sport in Gemeinschaft Für diese ist es gerade der Sportverein, der eine schöne Möglichkeit bietet, sich fit zu halten und gleichzeitig sozial eingebunden zu sein. Für das Familienleben empfiehlt sich: Zeigen Sie Ihren Kindern, dass Bewegung und gemeinsame Aktivitäten Spaß machen und den Alltag bereichern – leben Sie das vor. Gerade Kinder haben einen ausgeprägten natürlichen Bewegungsdrang. Bei Spaziergängen in der Natur zu allen Jahreszeiten kann zusätzlich die Kreativität der Kinder gefördert werden, beispielsweise durch das Sammeln von Steinen und Blättern. Soweit es möglich ist, sollten Radfahren oder der Besuch eines Spielplatzes selbstverständlicher Bestandteil des kindlichen Alltags sein. Dabei sind auch Oma und Opa oft gerne dabei.
Wenn einmal die Zeit für umfangreiche Ausflüge fehlt – was kann man da tun?
Der Alltag bietet eine große Zahl an einfachen Möglichkeiten, sich zu bewegen. Diese gilt es zunächst zu erkennen und dann auch zu nutzen. Nehmen Sie eine Treppe statt den Aufzug oder die Rolltreppe. Holen Sie die Sonntagsbrötchen mit dem Fahrrad statt mit dem Auto. Genießen Sie dabei die frische Luft. Oder machen sie aus dem Besuch des Marktes einen kleinen Ausflug mit der Familie. Bringen Sie Ihre Kinder oder Enkelkinder zu Fuß zum Kindergarten oder zur Schule. Eine zeitsparendere Variante ist, die letzte Bus- oder Straßenbahnstation zu Fuß zu gehen oder bewusst im Haushalt und Garten körperlich aktiv zu sein. Dabei kann man schon ganz schön aus der Puste geraten. Mit der Zeit entwickelt man so ein Bewusstsein für die Bewegungspotentiale des Alltags und kann sie immer besser nutzen.
Bewegung ist auch im Alter ein wichtiges Thema. Was raten Sie den Großeltern, um aktiv zu bleiben?
Im Alter stellen sich andere Anforderungen an die nachlassenden Körperfunktionen. Der Körper braucht mehr Erholungsphasen und büßt an Beweglichkeit ein. Das ist ein ganz normaler Prozess, der bei jedem ganz unterschiedlich verläuft. Je nach Fitness und Gesundheitszustand bieten sich verschiedene Aktivitäten an. Für die Gesunden gilt: Bringen Sie sich in das Familienleben möglichst aktiv ein und nutzen Sie gemeinsame Ausflüge oder die Seniorenangebote der Sportvereine. Anders sieht es aus, wenn es darum geht, kranke Familienmitglieder in solche Aktivitäten einzubinden. Hier ist im Einzelfall, am besten in Abstimmung mit dem Haus- oder Facharzt, zu entscheiden, was Oma oder Opa gut tut. Die Rücksprache mit dem Arzt ist insbesondere dann vonnöten, wenn die Großeltern chronisch krank sind oder durch altersspezifische Erkrankungen wie Demenz in ihrer Lebensführung eingeschränkt werden.
Wie bewegt man sich eigentlich in anderen Kulturen?
Das ist natürlich sehr vom jeweiligen Land und der Kultur abhängig. In vielen Naturvölkern hat Bewegung einen sehr hohen Stellenwert, führt sie doch Kinder von früh an spielerisch an Überlebenstechniken heran, die sie später als Erwachsene benötigen.
Bei den Aborigines, Ureinwohnern Australiens, wird dann auch mal der Verlierer eines Wettkampfes beglückwünscht, für seinen Mut und die Großherzigkeit einen anderen gewinnen zu lassen. Eine Sichtweise, von der wir in unserer Gesellschaft durchaus profitieren können. Ein interessanter Aspekt unserer multikulturellen Gesellschaft heute ist neben den vielfältigen Speisen, Kunstformen und Musik tatsächlich auch die Bereicherung mit den unterschiedlichsten traditionellen Bewegungsformen aus der ganzen Welt. Denn wie die Wissenschaft heute weiß sind Spracherwerb, Persönlichkeitsentwicklung und Sozialverhalten auf neuronaler Ebene ganz wesentlich mit Bewegung verbunden.
Was raten Sie jemandem, der Sport gerne intensiver in sein Leben einbauen möchte?
Generell kann man unterscheiden zwischen der zweckgerichteten Bewegung in Alltag und Beruf und den besonderen Bewegungsformen in Sport und Spiel. Wer Sport als Bewegungsform kultivieren möchte, für den halten Vereine die nötigen Voraussetzungen bereit, auch in Form von Beratung und Betreuung. Vereine bieten eine gute Mischung aus Individual- und Mannschaftsportarten, sowohl im Leistungs- als auch im Breitensportbereich. Dabei ist es gut, die eigene Zielsetzung zu kennen und einmal kritisch überprüft zu haben. Denn die allgemeinen Wertvorstellungen einer Gesellschaft zeigen sich auch in der Art der Ausübung von sportlicher Bewegung. Im Fall unserer westlichen Gesellschaften gilt vor allem das Leistungsprinzip mit dem Anspruch, sich ständig zu verbessern. Das ist nicht automatisch auch gesundheitsförderlich. Für andere wiederum liegt der eigentliche Sinn von Bewegung darin, die Körperfunktionen anzuregen, zu erhalten und nicht nur körperlich, sondern auch geistig und seelisch fit zu bleiben – also vor allem Gesundheitssport zu treiben. Hier gilt besonders: Mit Freude an der Bewegung ist es egal, welche Leistungen erbracht werden.
Wie sieht es mit speziellen Angeboten aus, die derzeit entstehen, z.B. dem Konzept der Mehrgenerationenspielplätze?
Städte und Länder bemühen sich fortwährend, Lebensräume attraktiv zu gestalten und die Menschen mit gezielten Bildungs- und Bewegungsangeboten anzusprechen. Dazu zählen Initiativen wie z.B. der „Kinderstadtplan“ der Stadt Mainz, der zu den schönsten Spielplätzen der Stadt führt, der Naturspielplatz der Gemeinde Stadecken-Elsheim in der Talstraße am Rheinhessenradweg oder der Mehrgenerationenspielplatz im Park am Mäuseturm in Bingen. Mehrgenerationenspielplätze sind ein modernes Konzept, das Bewegungsanreize auch für ältere Menschen bieten möchte. Auf Bewegungsparcours sind verschiedene Allwettergeräte errichtet, die für Menschen jeden Alters konzipiert sind und so die ganze Familie dazu einladen, sich an den Gerätschaften auszuprobieren. In vielen Innenstädten gibt es mittlerweile urbane Spielgeräte, die Jung und Alt zum kurzen Bespielen einladen. Darüber hinaus gibt es über das Jahr verteilt Veranstaltungen zum Thema „Bewegung und Gesundheit“, ganz aktuell Mitte Juni das Kinderfestival der Sportjugend im Mainzer Volkspark.