Interview mit:
Ute Schmidt, Kinderkrankenschwester
und Expertin für kindliche Entwicklungsfragen,
arbeitet als Familienberaterin im Mütter- und FamilienZentrum e.V. (MütZe) in Ingelheim
Frau Schmidt, im Bericht konnten wir bereits erfahren, wie sich Eifersucht unter Geschwistern äußert. Wofür genau steht denn diese Eifersucht?
Eifersucht unter Geschwistern resultiert meist aus dem Gefühl heraus, nicht genug Liebe zu erfahren, vergleichsweise zu kurz zu kommen und benachteiligt zu sein. Wenn der dreijährige Tim seine kleine Schwester haut und tritt, dann ist das vor allem auch ein Appell an uns als Eltern, dass ihm etwas fehlt und er davon mehr braucht – zum Beispiel Aufmerksamkeit, Anerkennung oder einfach Zeit. Eifersucht definiert sich dabei meist über die Mutter-Kind-Beziehung, da diese in den ersten Jahren besonders eng ist. Kinder im sogenannten „Trotzalter“ von drei bis vier Jahren, in dem das eigene Ich und die Trennung von der Mutter erstmals bewusst wahrgenommen werden, neigen daher besonders zu Eifersucht.
Das heißt, der Schlüssel für Eifersucht unter Geschwistern liegt bei den Eltern?
Weitestgehend ja. Elternliebe ist ein ganz zentraler Aspekt bei Eifersucht unter Geschwistern. Sie ist notwendig – und muss erfahrbar sein –, damit Kinder ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen können und sich als liebenswert erleben. Es gibt kaum einen besseren Nährboden für Eifersucht als einen Mangel an Selbstwert.
Wie können Eltern sich verhalten, damit Eifersucht unter Geschwistern gar nicht erst aufkommt?
Grundsätzlich gilt: Kinder lernen von ihren Eltern. Wenn zum Beispiel eine Mutter ein gesundes Selbstwertgefühl hat, fällt es auch dem Kind leichter, einen ausreichenden Selbstwert aufbauen. Ein Kind muss positiv erfahren, dass es einzigartig ist, es braucht die Anerkennung und Wertschätzung seiner Einmaligkeit, um Individualität und Selbstbewusstsein herauszubilden. Dementsprechend sollten Eltern ihre Kinder von klein auf bestärken und ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen, gerade wenn die Familie aus mehreren Kindern besteht. Vor allem sogenannte „Sandwich-Kinder“ haben oft das Gefühl, sich in beide Altersrichtungen behaupten zu müssen. Aufforderungen wie „Nimm dir deinen Bruder als Beispiel, der kann das auch!“ sind daher wenig förderlich; kein Kind ist gleich, das sollte man von Anfang an beherzigen. Eifersucht unter Geschwistern im Kindesalter kann bis zu Rivalitäten im Erwachsenenalter andauern oder wie ich gerne sage: Ein nicht sattes Kind bleibt nicht satt.
Grundlegend ist, Kinder ernst zu nehmen und dadurch zu verstehen, was in ihnen vorgeht. Aber es muss auch Grenzen geben, die jedes Kind braucht, und Unterstützung, diese Grenzen zu akzeptieren. Und wenn Sie Ihr Kind in seinen Eigenarten fördern ist dabei immer auch wichtig, dass Kinder lernen zu teilen und Grenzen des Geschwisterkinder und der Eltern zu akzeptieren.
Wenn bereits Eifersucht unter Geschwistern besteht - wie können Eltern die Situation aufarbeiten?
Wichtig ist auch hier, die Ursachen herauszufinden und gemeinsam mit dem Kind zu benennen. „Weshalb hast du deine Schwester geärgert?“, „Warum bist du wütend?“ können mögliche Fragen lauten. Indem Eltern ihre Kinder spiegeln, können sie ihnen helfen, ihre Emotionen zu erkennen und auszudrücken. Stellt sich heraus, dass ein Kind zum Beispiel eifersüchtig auf das kleine Schwesterchen ist, weil dieses eine neue Puppe bekommen hat, kann man das Kind in den Arm nehmen und deutlich machen, dass man es genauso lieb hat. Außerdem kann man alternativ mit beiden Kindern das Teilen üben. Bei älteren Kindern ab ca. sechs Jahren hat sich zudem das Aufschreiben von Gefühlen und Gedanken bewährt, um Hintergrundmotive der Eifersucht herauszuarbeiten. Dennoch würde ich raten, nicht in jede Streitsituation unter Geschwistern einzugreifen, da Kinder ebenso lernen müssen, Konfliktsituationen eigenständig zu meistern.
Greifen wir noch einmal das Stichwort Individualität auf: Wie kann ich jedem Kind gerecht werden und dabei allen Kindern ausgewogen Aufmerksamkeit schenken?
Das ist eine Frage, die mir häufig auch berufstätige oder stark eingebundene Eltern stellen. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von Qualitätszeiten – denn um den Bedürfnissen von Kindern gerecht zu werden, ist nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit entscheidend. Grundsätzlich würde ich empfehlen, für jedes Kind bestimmte Zeiten wie etwa „Vater-Tochter-“ oder „Mutter-Sohn-Zeiten“, nach Möglichkeit regelmäßig, zu reservieren: Die Aufmerksamkeit gehört dann ungeteilt dem jeweiligen Kind, das zugleich entscheiden darf, was gemacht wird: Spielen, Erzählen, Vorlesen, die Liste der Möglichkeiten ist lang. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, was ein Kind braucht, und seinen Bedürfnissen nachzukommen. Nehmen wir ein Beispiel: Die kleine Lisa benötigt sehr viel Lob und Anerkennung, um sich geliebt zu fühlen, wohingegen ihre Schwester Maike viel lieber mit Mama kuschelt. Maike in ihren Leistungen zu bestätigen, würde daher – wenngleich dies ebenso wichtig ist – ihren primären Bedürfnissen nicht gerecht werden; das aber ist entscheidend, damit der „Liebestank“, bildlich gesprochen, voll wird.
Manchmal braucht ein Kind, zum Beispiel wegen einer Lernschwäche oder einer Krankheit, besonders viel Unterstützung. Wie sollte man damit umgehen?
Bei einem Kind, das wegen einer Erkrankung besonders viel eltlerliche Aufmerksamkeit braucht, ist es ratsam, dem anderen Kind auch alleinige Aufmerksamkeit zu widmen. Zwar sind Unternehmungen für die ganze Familie gut geeignet, die den Zusammenhalt stärken und dazu beitragen, das gegenseitige Verständnis zu fördern. Über Familienausflüge hinaus sollte es aber zum Beispiel Nachmittage einmal ganz allein mit Mama oder Papa geben – auch als Anerkennung seiner Rücksichtnahme auf das kranke Geschwisterkind.
Letztlich ist auch hier maßgeblich, dass sich jedes Kind in seiner individuellen Eigenart von den Eltern angenommen und geliebt fühlt – die Quantität der gemeinsamen Zeit tritt dann in den Hintergrund.
Der dreijährige Moritz bekommt ein Schwesterchen – wie können Eltern diese besondere Situation bestmöglich vorbereiten, um Eifersucht zu vermeiden?
Für Moritz ist vor allem die Überzeugung wichtig, dass er nicht an Einzigartigkeit verliert und ihm die Liebe und Aufmerksamkeit seiner Eltern auch mit dem Familienzuwachs gewiss sein wird. Er möchte nicht außen vor stehen, sondern weiterhin dazugehören. Wir sprechen diesbezüglich auch von einem „Entthronungsschock bei Erstgeborenen“. Daher rate ich allen Eltern in einer solchen Situation: Beziehen Sie Ihre Kinder mit ein, wenn ein neues Geschwisterchen unterwegs ist – an Mamas Bauch hören, das neue Kinderzimmer mit einrichten oder Bilderbücher zur Vorbereitung, dies alles können geeignete Wege sein. Und auch wenn das Brüder- oder Schwesterchen auf der Welt ist, sollte Moritz wissen, dass er mithelfen darf und seine Mama ihn als Unterstützung braucht. Und dass es weiterhin Zeit nur für ihn geben wird.