Interview mit:
Dr. Gerd Jager, psychologischer Psychotherapeut
leitet die Lebensberatungsstelle des Bistums Trier in Mayen.
In welchen Situationen brauchen Eltern Hilfe bei der Erziehung?
Ein Kriterium ist, wenn sich bestimmte Symptome beim Kind zeigen: Wenn beispielsweise ein 8-jähriger noch Bettnässer ist, Kinder in der Schule oder im sozialen Bereich massive Probleme haben, weil sie keine Freunde finden oder süchtig am Computer spielen. Auch wenn psychosomatische Erkrankungen bei Kindern auftreten, sollten Eltern aufmerksam werden.
Erziehungsberatung kann auch ratsam sein, wenn die Eltern extrem unterschiedliche Erziehungsvorstellungen haben und es nicht schaffen, an einem Strang zu ziehen, oder wenn ein Elternteil mit dem Erziehungsstil des anderen sehr unzufrieden ist. Oft fühlen sich Eltern einfach auch überfordert mit der Kindererziehung. Auch wenn Eltern sich trennen werden wir als Beratungsstelle häufig mit einbezogen - und natürlich, wenn ein Elternteil Sorge hat, dass das Kindeswohl durch Gewalt oder Missbrauch gefährdet ist.
An welche Stellen können sich Eltern dann wenden?
Bei schulischen Leistungs- und Laufbahnproblemen ist der Schulpsychologische Dienst die erste Anlaufstelle. Bei allen Fragen, die mit Erziehung und Kindeswohl zu tun haben, können sich Eltern an das örtliche Jugendamt wenden oder an die Erziehungs- und Lebensberatungsstellen von freien Trägern, beispielsweise den Kirchen. Außerdem gibt es als spezielle Beratungseinrichtungen die Sucht- und Drogenberatung und die Schuldnerberatung.
Steht die Erziehungsberatungsstelle Eltern von Kindern jeder Altersgruppe offen?
Ja, vom Kleinstkind bis zum Heranwachsenden. Beim Bistum Trier haben wir zum Beispiel derzeit das Projekt „Entwicklungspsychologische Beratung“ laufen, bei dem auch Säuglinge und Vorschulkinder in den Blick genommen werden. Wir streben außerdem eine Zusammenarbeit mit Hebammen an, die die Familien noch über die Geburt hinaus betreuen.
Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen ist sicher nicht immer einfach, zum Beispiel aus Scham oder weil manche Menschen psychologische Hilfe ablehnen. Wie kann man solche Hürden runter setzen?
Eltern scheuen sich eher vor dem Gang zum Jugendamt, weil sie das mit staatlichem Eingriff gleichsetzen. Aber wenn ich an die Fallzahlen in unserer Beratungsstelle, sehe ich keine Schwellenangst. Wir sind überlaufen und bräuchten eigentlich viel mehr Personal. Auch die Bereitschaft der Väter zu kommen ist deutlich gestiegen. Früher - so unsere Erfahrung - waren Väter sehr viel zurückhaltender und sind oft nur gekommen, weil die Partnerinnen gedrängt haben. Um die Schwelle niedrig zu halten, bemühen wir uns an Orte zu gehen, wo Eltern sind, beispielsweise mit Sprechstunden in Kitas, Schulen und Mehrgenerationenhäusern.
Sollten Eltern die Entscheidung, Erziehungshilfe in Anspruch zu nehmen, möglichst gemeinsam treffen – und dabei vielleicht auch das betroffene Kind mit einbeziehen?
Gut wäre natürlich, eine gemeinsam Entscheidung zu treffen. Aber genau das ist ja oft nicht möglich. Kinder kann man ab einem Alter von etwa 5 Jahren in angemessener Sprache an der Entscheidung beteiligen. Wir legen viel Wert darauf, dass Kindern nicht gedroht wird, sondern betont wird, dass die Erziehungsberatung eine Hilfe sein kann. Und wenn zum Beispiel Väter nicht mitkommen wollen, aber Mütter das wichtig finden, schreiben wir auch schon mal einen freundlichen Brief an den Vater. Manchmal reagieren Männer in solchen Situationen erst auf Druck. Aber wenn sie dann sehen, was hier vor sich geht, entwickeln sie meistens eine eigene Motivation. Das ist auch wichtig, denn eine erzwungene Beratung bringt meist nicht viel.
Gibt es Fragen, die Eltern vor der Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle klären sollten?
Das ist ja häufig genau das Problem, dass Dinge nicht geklärt werden können. Deshalb kann man durchaus mit offenen Fragen zu uns kommen. Wenn wir einen Termin vereinbart haben, schicken wir vorab einen Fragebogen, so dass die äußere Problemstellung beim ersten Gespräch bekannt ist. Den Fragebogen können die Eltern auch getrennt voneinander beantworten.
Entstehen für Eltern Kosten bei einer Erziehungsberatung?
Nein, das gehört zur Jugendhilfe und die ist kostenlos. Auch wenn Eltern Paarprobleme haben, haben sie ein Recht auf kostenlose Hilfe bei einer entsprechenden Beratungsstelle – das zählt bei Paaren mit Kindern zur Jugendhilfe.
Weitere Informationen:
Lebensberatung des Bistums Trier (Hilfe bei Familien-, Ehe- und Erziehungsfragen): www.lebensberatung.info