Interview mit:
Willibald Weigel, Polizeihauptkommissar
und Geschäftsführer der Kinderunfallkommission Kaiserslautern
Andreas Kohler, Polizeihauptkommissar
und Leiter Sachbereich Verkehr des Polizeipräsidiums Westpfalz
Der Straßenverkehr ist eine alltägliche Gefahrenquelle. Was sind klassische Situationen, bei denen es für ein Kind problematisch werden kann?
Zunächst einmal ist zu unterscheiden hinsichtlich der aktiven und passiven Verkehrsteilnahme. Ein Kind, das angegurtet auf dem Rücksitz des elterlichen Wagens am Verkehr teilnimmt, ist einem anderen Risiko ausgesetzt als ein Kind, das aktiv am Straßenverkehr als Fußgänger oder Radfahrer teilnimmt. Viele Unfälle passieren auf dem Weg zur Schule oder dem Heimweg danach.
60 Prozent der Unfallquellen ergeben sich durch all die Freizeitaktivitäten, bei denen das Kind am Straßenverkehr teilnimmt, also besonders der Weg zu Freunden, zum Sport oder anderweitige Aktivitäten, bei denen ein Kind das Elternhaus verlässt.
Nun ist es doch passiert. Und jetzt? Wie ist bei einem Unfall zu handeln?
Natürlich ist das immer vom Einzelfall abhängig, aber generell können wir zwei Reaktionsphasen bei einem Verkehrsunfall feststellen. Die erste ist die unmittelbare Zeit nach dem Unfall, die schockartig erlebt wird, sowohl vom Kind selbst als auch von allen Beteiligten. Die Verständigung der Polizei und, bei Verletzungen des Kindes die Verständigung der Rettungsdienste sind die ersten Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt.
Die zweite Phase bezieht sich auf den Zeitraum in den ersten Tagen nach dem Unfall, in der das Erlebnis aufgearbeitet werden sollte. Unterstützen Sie Ihr Kind zu diesem Zeitpunkt aktiv durch Ihre Teilhabe an den Erlebnissen und eine besondere Fürsorge. Achten Sie insbesondere auf alle Signale, die das Kind aus seiner eigenen Wahrnehmung heraus gibt und helfen Sie dabei, das Erlebte einzuordnen.
Das eigentliche Erlebnis ist vorbei und dem Kind geht es wieder gut, dennoch fürchtet es sich jetzt vor der Unfallstelle. Wie kann man damit umgehen?
Besonders bei sehr sensiblen und jüngeren Kinder zeigt sich diese Reaktion in der Tat. Entscheidend ist, in einer geschützten Situation das Kind an das Erlebnis heran zu führen. Zwingen Sie Ihr Kind allerdings nicht, sofort mit Ihnen an die Unfallstelle zu gehen, das könnte mehr schaden als nützen. Dennoch ist die Konfrontation mit der Unfallstelle wichtig, damit das Kind die Situationsangst von Ihnen geführt überwinden kann. Es gilt, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, das Kind an die Hand zu nehmen und ihm dadurch eine Aufarbeitung der Erlebnisse zu ermöglichen. Ansonsten wird es möglicherweise vor vergleichbaren Verkehrssituationen wie dem Überqueren der Fahrbahn Ängste behalten, die es blockieren und nicht sicher am Verkehr teilnehmen lassen.
Straßenverkehr ist ja nicht gleich Straßenverkehr. Welche Lösungsstrategien zum Vermeiden von Unfällen gibt es?
Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, auch nicht im Straßenverkehr. Aber es ist möglich, eine Heranreifende oder einen Heranreifenden sinnvoll auf den Straßenverkehr vorzubereiten, egal ob in verkehrsberuhigten Bereichen oder an den Verkehr auf Hauptstraßen und an Kreuzungen. Ab ca. acht Jahren kann ein Kind Gefahren selbst abschätzen lernen, vorher sollten Kinder nicht alleine am Straßenverkehr teilnehmen. Beobachten Sie einfach die Entwicklung Ihres Kindes. Wenn Sie sicher gehen möchten, nehmen Sie einfach die Rolle des Kindes ein, indem Sie sich von ihm führen lassen. Auf spielerische Weise sehen Sie an dem Rollentausch, was Ihr Kind einbringt und wie weit die Kompetenzen ausgeprägt sind. Im Anschluss können Sie darauf gut reagieren und im Zweifelsfall korrigieren.
Dafür, dass ein Unfall erst gar nicht passiert, lässt sich einiges tun. Worauf kann ich mein Kind aufmerksam machen?
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Verkehrskompetenz der Kinder. Diese ist stark vom Alter abhängig, weil die kognitiven und motorischen Fähigkeiten ganz unterschiedlich ausgeprägt sind. Je jünger ein Kind ist, um so weniger ist es befähigt, allein am Straßenverkehr teilzunehmen. Gerade deswegen brauchen die jüngeren Kinder am meisten Anleitung und Hilfestellung, dem sollte man mit viel Geduld begegnen.
In Kindergärten wird das Thema Verkehrserziehung u.a. in Form von Puppentheateraufführungen spielerisch eingebracht. Durch die Verkehrserziehung in der Grundschule wird ein weiterer Baustein gelegt, damit Kinder geschützt am Verkehr teilnehmen können.
Darüber hinaus gibt es die Verkehrssicherheitsberatung im Zusammenhang mit dem Mofaführerschein. Die beste Unterstützung durch die Eltern ist in jedem Fall, die wichtigen vorbeugenden Maßnahmen vorzuleben. Tragen Sie also beispielsweise selbst einen Fahrradhelm, wenn Sie mit einem Kind zusammen Rad fahren. Gehen Sie mit dem Kind den Schulweg mehrfach ab und zeigen Sie ihm immer wieder mögliche Gefahrenquellen wie schlecht einsehbare Straßenteile oder Kreuzungen, an denen das Verkehrsaufkommen besonders hoch ist. Im Laufe der Zeit wächst so das Selbstvertrauen und die Fähigkeit des Kindes, eine Situation im Straßenverkehr kompetent einzuschätzen und sich angemessen als Verkehrsteilnehmer zu bewegen.
Sie haben die Vorbildfunktion der Eltern angesprochen. Wie wichtig ist dieser Aspekt bei Ihrer Arbeit und für das Verhalten eines Kindes?
Ein Kind orientiert sich stark an dem Verhalten, das ihm in der Familie und seiner Umwelt vorgelebt wird. Deswegen ist es auch so wichtig für unsere Arbeit und das Verhalten der Eltern, dass präventive Maßnahmen wie das Tragen geeigneter Kleidung mit Reflektoren, der Fahrradhelm und die Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit des Rades von den Eltern aktiv vorgelebt werden. Seien Sie, auch wenn Sie dies vielleicht einmal als lästig empfinden, in jedem Fall konsequent darin. Sprechen Sie mit den Kindern über den Schulweg und die Besonderheiten einzelner Stellen, das sollten Sie an Ort und Stelle tun und dem Kind zeigen, was hier wichtig ist als Fußgänger oder Radfahrer. Wichtig bleibt auch, das Kind anzuleiten, wenn es sich als Fußgänger im Straßenverkehr bewegt. Bringen Sie ihm konsequent bei, nach dem Aussteigen nicht schnell hinter dem Bus auf die Straße zu rennen. Das sollten Sie dem Kind vor Ort zeigen und wiederholen Sie dies, wenn sich Ihr Kind nur bedingt für dieses kontrollierte Verhalten begeistern lässt.
Das klingt, als müsste man sich in die Lage des Kindes stark hinein versetzen. Warum ist das so wichtig?
Die Perspektive eines Kindes unterscheidet sich erheblich von der eines Erwachsenen, nicht nur aufgrund einer anderen Körpergröße oder eines anderen Gesichtsfeldes. Auch die Mobilität ist anders und vor allem die kognitiven Fähigkeiten sind nicht mit denen eines Erwachsenen zu vergleichen. Indem Sie sich als Erwachsener in die Rolle des Kindes hinein versetzen, erhalten Sie selbst außerdem mehr Einsicht in mögliche Gefahrenquellen: So ist eine Hecke für einen Erwachsenen normalerweise keine Beschränkung hinsichtlich der Raumwahrnehmung. Für ein 8-jähriges Kind dürfte das sehr wohl der Fall sein. Diese besonderen Gefahrenquellen entdecken Sie übrigens nur dann alle, wenn Sie mit dem Kind die Wege abgehen, anstatt sich auf die Erinnerung zu verlassen.
Gibt es außer den mit dem Straßenverkehr selbst verbundenen Faktoren andere Punkte, die in Zusammenhang mit der Verkehrskompetenz eine Rolle spielen?
Wir haben bisher vor allem über jüngere Kinder gesprochen, aber das Thema Verkehrssicherheit hört natürlich bei älteren Kindern und Jugendlichen nicht auf. Ein Aspekt, der bisher nicht behandelt wurde, aber wichtig bei Jugendlichen ist, ist das Thema Drogenkonsum. Unter Drogeneinfluss verändern sich die Wahrnehmung und die Reaktionszeiten, deswegen sollten Sie darüber mit Ihren Kindern in jedem Fall ab dem gebotenen Alter sprechen. Generell wird dies von Seiten der Schulen ab der 9. und 10. Klasse im Unterricht behandelt, rechnen Sie also mit Fragen hierzu, wenn Ihre Kinder in diesem Alter sind.