Interview mit:
Stefan Ewald, Diplom-Psychologe und Diplom- Ehe-, Familien- u. Lebensberater (BAG),
Leiter der Lebensberatung Betzdorf des Bistums Trier
Welche Ursachen sehen Sie für den Stress rund um Weihnachten?
Natürlich ist der Erwartungsdruck ein Thema. Weihnachten ist neben Ostern das wichtigste christliche Fest, wenn wir die Geburt Jesu festlich begehen. Viele Menschen beschäftigt deswegen, dass alles gelingen muss und die Festtage quasi perfekt inszeniert werden müssen. Solch eine Vorstellung verursacht Stress, zumal man diesem Anspruch nicht genügen kann. Grundsätzlich lassen sich für Stress individuelle, familiäre und gesellschaftliche Gründe ausmachen. Beispielsweise sind die Menschen unterschiedlich stressresistent und das Familienleben läuft unterschiedlich harmonisch ab.
Hinzu kommt, dass die Menschen heute vermehrt einem Übermaß an Reizen und Informationen ausgesetzt sind, was mit Stress einher geht. Das ist natürlich nicht nur an Weihnachten so. Aber gerade in einer Zeit der Rückbesinnung auf sich selbst, sind dies Faktoren, die das Stressempfinden stark beeinflussen. Weihnachten muss außerdem als Ritual gesehen werden. Der ganze Zyklus ab der Adventszeit ist ein wiederkehrender Ablauf, der ursprünglich den Menschen dabei helfen sollte, sich zu ordnen und die Gemeinschaft zusammen zu halten. Die Inhalte dieses Rituals waren den Menschen zu früheren Zeiten verständlicher. Heutzutage wird Weihnachten schneller als inhaltsleer empfunden, weil der innere Bezug zur Idee von Weihnachten fehlt bzw. eine Distanz zu religiösen Bräuchen besteht. Die Weihnachtszeit fällt außerdem in den Kreislauf der Natur - es wird Winter. Die Jahreszeiten verkörpern dabei einen natürlichen Prozess aus Phasen des Wachstums und der Ruhe, woran man sich an Weihnachten auch immer erinnern sollte. Doch anstelle von Ruhe und Besinnung kommt es in vielen Familien gerade an Weihnachten durch die ganzen Vorbereitungen und Verpflichtungen zu Stress.
Wie können wir diesem Stress begegnen?
Zunächst einmal sollte man bewusst wahrnehmen, wie der eigene Alltag abläuft und welche Vorstellungen man selbst zu Weihnachten hat. Man sollte sich ordnen und rechtzeitig beginnen mit den Planungen, es ist auch hilfreich, sich den Ritualcharakter zu vergegenwärtigen und schon die gesamte Adventszeit als Planungs- und Handlungszeit zu nutzen. Schieben Sie nichts auf, sondern machen Sie sich einen Plan, wer wann was zu tun hat. Fragen Sie sich ganz genau, was Ihnen persönlich wichtig ist und besprechen Sie Ihre Vorstellungen in der Familie, um gemeinsame Absprachen zu finden. Wenn Sie mit dem religiösen Charakter des Fests nicht so viel anfangen können, suchen Sie sich Rituale, die Sie für sich persönlich als stimmig und angenehm empfinden. Auch ein weihnachtliches Abendessen im Kreis der Familie, das Sie mit einfachen Mitteln in der Adventszeit begehen, gehört hierzu. Überladen Sie die Tage nicht, gewichten Sie Aufgaben und treffen Sie genaue Absprachen. Wichtig ist, sich insgesamt nicht zu sehr auf den Konsumrhythmus einzulassen, weil dieser den Ritualcharakter stark untergräbt. Nehmen Sie sich Aufgaben konsequent vor und treffen Sie klare Entscheidungen, an die Sie sich halten, das wird als sehr befriedigend erlebt und verschafft Ihnen Freiräume, die Sie übrigens fest einplanen sollten in Ihre Vorbereitungen.
„Oh Du fröhliches, oh Du seliges Weihnachtsgeschenk...“ - Es sollte von Herzen kommen. Aber wie gehe ich mit meinem Kind um, das unbedingt eine bestimmte Designerjacke haben möchte oder das neueste, sündhaft teure Handymodell?
Geschenke sind in erster Linie Ausdruck eines persönlichen Bezugs zum Kind. Den Gedanken, dass Geschenke eine persönliche Geste darstellen, sollten Sie Ihrem Kind erklären, wenn seine Vorstellungen sich rein um teure Konsumgüter drehen. Aus Untersuchungen wissen wir, dass teure Markenprodukte nicht entscheidend sind für die Zufriedenheit bei den Kindern. Schenken Sie ihnen etwas, das sie wirklich brauchen, und lassen Sie sich nicht zu sehr von äußeren Wertigkeiten beeinflussen. Und vor allen Dingen: Nehmen Sie ein solches Bedürfnis bei ihrem Kind als Chance, seine Ansprüche behutsam zu hinterfragen. Ergründen Sie die Herkunft und das Bedürfnis, das hinter diesem Wunsch bei Ihrem Kind steht.
Allein sein an Weihnachten. Kann das eine gute Idee sein, um Stress zu vermeiden?
Es kann durchaus eine Möglichkeit sein, Weihnachten tatsächlich alleine zu verbringen und sich aus der gewohnten sozialen Umgebung zurück zu ziehen oder sich ihr ganz zu entziehen, zum Beispiel im Sinne einer Reise. In der Regel besteht aber in den meisten Familien der Wunsch, das Fest gemeinsam zu verbringen und es im Kreis der Familie und Verwandten zu begehen. Entscheidend ist hier die Frage, in welcher Konstellation alle am besten zur Ruhe kommen. Davon sollte man abhängig machen, wie man feiert. Und auch hier gilt: Sprechen Sie darüber, gerade wenn Ihre Vorstellungen von traditionellen Mustern abweichen.
Weihnachten ist nicht der Zeitpunkt, um Probleme mit der Partnerin, mit dem Partner oder den Kindern zu lösen. Was raten Sie Familien, denen es von Vornherein schwer fällt, gelöst an Weihnachten heranzugehen?
Es kann hilfreich sein, bestehende, individuelle Familienrituale und -gewohnheiten aufrecht zu erhalten. Gewohnte Strukturen schaffen einen verbindlichen Rahmen, der als angenehm und sicher empfunden wird. Bestehende, tief liegende Konflikte lassen sich auch an Weihnachten nicht sofort lösen. Wenn Sie einem bestimmten Menschen partout aus dem Weg gehen möchten, würde ich in diesem Fall raten, sich klar abzusprechen, um ein Zusammentreffen möglichst zu vermeiden.
Weihnachten kann in diesen oder vergleichbaren Fällen eine Chance sein, um ein Signal für eine Versöhnung zu setzen. Darauf ließe sich nach den Festtagen im neuen Jahr aufbauen. Erwarten Sie aber nicht zu viel und setzen Sie sich nicht unter Druck mit dem Gedanken, dass es jetzt an Weihnachten unbedingt funktionieren muss. Eine Versöhnung ist ein Prozess, der von beiden Menschen mitgetragen und gestaltet wird. Gehen Sie möglichst mit gutem Beispiel voran und bezeugen Sie dadurch Ihren Willen, etwas an der Beziehung, wie sie aktuell ist, ändern zu wollen.
Welche Vorschläge haben Sie für Heiligabend, damit das Fest entspannt ablaufen kann?
Wenn Sie die Bedürfnisse aller Familienmitglieder mit einbeziehen und die Abläufe genau hinterfragen, haben Sie viel für ein entspanntes Weihnachten getan. Versuchen Sie nicht zwanghaft, die Festlichkeit zu entschlacken, wenn alle auf den gewohnten Ablauf vertrauen und sich diesen wünschen. Prüfen Sie gemeinsam, wer normalerweise am meisten erledigt und versuchen Sie dann innerhalb der Familie, diese oder diesen zu entlasten. Seien Sie dabei nicht zu streng hinsichtlich der Rollenverteilung und meiden Sie Perfektionismus, um die nötige Gelassenheit zu bewahren.