Loreleygemeinde Bornich

Verkehrte Rollen? – Wenn Kinder ihre Eltern pflegen

Expertin vor Ort:
Claudia Müller-Schmitt, Diplom-Sozialarbeiterin (FH) und Beraterin am Pflegestützpunkt Ludwigshafen-Oggersheim/Ruchheim

Welche Konsequenzen hat es für den Alltag, wenn erwachsene Kinder plötzlich zu Pflegenden werden?
Viele Familien werden ganz unvorbereitet mit dem Thema konfrontiert, da sich die Pflegenotwendigkeit meist akut nach einem Krankenhausaufenthalt ergibt, beispielsweise nach Schlaganfall oder Sturz. Anders ist das bei Erkrankungen wie z.B. der Alzheimer-Demenz. Diese Krankheit entwickelt sich über viele Jahre. Wird ein Elternteil pflegebedürftig, bedeutet dies oft einen erheblichen Einschnitt in das Familienleben aller Beteiligten. Waren es früher die Eltern, die Verantwortung für ihre Kinder übernommen haben, müssen nun die Kinder die fürsorglich autoritäre Haltung einnehmen. Das ist eine Herausforderung und je nach Schwere der Pflegesituation und anderer individueller Faktoren können körperliche, seelische oder finanzielle Belastungen die Folge sein. Hinzu kommt, dass Familien oft nicht wissen, wie man die Pflege bedarfsgerecht organisiert  und welche Hilfsangebote vor Ort existieren.

Ein wichtiger Punkt: Pflege ist nicht gleich Pflege. Welche Faktoren spielen bei der Pflege eines Angehörigen eine Rolle?
Das Empfinden, inwiefern die Pflege als Belastung erlebt wird hängt von vielen Faktoren ab. Dazu zählen u. a. das Alter des zu Pflegenden, sein Geschlecht, die Schwere der Erkrankung, die Wohnsituation und generell der emotionale Umgang innerhalb der Familie. Seitens des Pflegenden ist entscheidend, wie die berufliche Situation und der eigene Gesundheitszustand sind, ob er also genug Zeit und Kraft für die Pflege aufbringen kann und ob er Hilfe in Familie und Nachbarschaft findet. Bedeutsam für die Pflege ist auch, warum und wie intensiv individuell gepflegt werden muss und was der hilfsbedürftige Elternteil noch aus eigener Kraft ohne Unterstützung leisten kann. Grundsätzlich geht es darum, den Betroffenen zu aktivieren und vorhandene Potentiale zu fördern. Von großer Bedeutung ist, welche Strategien zur Stressbewältigung vorhanden sind oder entwickelt werden können. Denn Pflegende müssen sich frühzeitig Freiräume schaffen, um eigene Interessen und soziale Kontakte erhalten zu können. Nur so können sie langfristig gesund bleiben und ihrer Rolle gerecht werden.

Was ist zu beachten bei der Organisation und Versorgung der pflegebedürftigen Eltern?
Die  Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen aller involvierten Personen wichtig. Wer von Anfang an bewusst mit der Situation umgeht und die vorhandenen Energiereserven wertschätzt und schont, erleichtert sich und dem Elternteil den Umgang mit der neuen Situation. Dazu gehört eine klare Einschätzung der Lage, Informationen über die Erkrankung und mögliche Hilfsangebote vor Ort. Weiterhin sind die finanzielle und die Wohnsituation zu berücksichtigen. Im optimalen Fall sollten das gewohnte soziale Netz und die eigene Wohnung erhalten bleiben. Eine sinnvolle Unterstützung dabei können spezielle Pflegehilfsmittel und eine Anpassung des Wohnraumes sein. Beziehen Sie möglichst den Gepflegten bei allen wichtigen Entscheidungen mit ein. Weiterhin ist zu klären, ab welchem Zeitpunkt es sinnvoll ist, externe Hilfsangebote einzubeziehen und sie gegebenenfalls entsprechend dem Pflegeverlauf anzupassen. Berufstätige Pflegende sollten klären, wieweit sie von den gesetzlichen Möglichkeiten zur Freistellung oder Reduzierung der Arbeitszeit Gebrauch machen wollen oder können.

Eine Pflege ist notwendig, aber der betroffene Elternteil weigert sich entschieden, sich helfen zu lassen. Wie geht man mit dieser Situation am besten um?
Für den Pflegebedürftigen ist es natürlich schwierig, mit der nachlassenden Autonomie umzugehen. Eltern sind es nicht gewöhnt, Hilfe von den eigenen Kindern anzunehmen. Einige ziehen sich zurück oder leugnen die Veränderungen, andere werden aggressiv. Auch nachlassendes Selbstwertgefühl oder depressive Verstimmungen sind möglich. Oft steht dahinter Hilflosigkeit im Umgang mit der Krankheit. Da kann es helfen, dem Betroffenen noch vorhandene Fähigkeiten zu verdeutlichen und so lange wie möglich zu erhalten. Auch am Ende eines Krankheitsverlaufes ist es immer noch möglich, dem Familienmitglied schöne Erinnerungen an die eigene Biographie zu bescheren.

Man hat sich für die Pflege entschieden, kommt aber zunehmend an seine eigenen Grenzen. Wie können Burnout und Erschöpfung vermieden werden?
Burnout oder Überforderung entstehen meist aufgrund zu hoher emotionaler und körperlicher Belastung über einen langen Zeitraum hinweg. Hier ist es wichtig, sich selbst ehrlich wahrzunehmen, seine eigenen Grenzen zu achten und bei der Planung zu berücksichtigen. Dazu gehört eben auch die Einsicht, aufgrund der eigenen Lebenssituation eine Pflege nicht leisten zu können, selbst wenn Sie es noch so gerne wollen. Fragen Sie sich realistisch, ob Sie noch alle Erfordernisse der Pflege erfüllen können. Und vor allen Dingen: Reden Sie mit Ihrem Partner oder einem Vertrauten über Ihre Gefühle und Gedanken. Damit wirken Sie einer emotionalen Abkapslung erfolgreich entgegen. Sie erhalten durch die Offenlegung Ihrer Gedanken auch eine Einschätzung der Situation von außen und sind nicht allein bei der Entscheidung, ob Sie Ihren Angehörigen von nun an ambulant pflegen lassen oder die Möglichkeit einer Heimunterbringung in Anspruch nehmen. Es bringt niemandem etwas, wenn Sie sich bis an die Grenze der Erschöpfung aufopfern.

Welche Aufgaben bei der Pflege gibt man im Sinne des eigenen Schutzes besser an Außenstehende ab bei der Pflege?
Je größer das Unterstützersystem aus familiärer Hilfe, Nachbarschafts- und Freundeshilfe sowie ambulanter Dienste ist, auf das in der häuslichen Pflege zurückgegriffen werden kann, desto länger und umfassender ist eine Pflege daheim oder in der Wohnung des Pflegebedürftigen möglich. Welche Aufgaben Sie abgeben, ist von Ihren eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten und von Ihren individuellen Grenzen abhängig.


Stichwort Demenz. Wie wirkt sich die Erkrankung auf den Betroffenen aus?
Die Demenz ist eine der Haupterkrankungen im Alter. Erkrankte verlieren zunehmend die Fähigkeit, sich zeitlich und örtlich zu orientieren und ganz alltägliche Tätigkeiten durchzuführen. Die selbständige Lebensführung wird im Verlauf der Erkrankung immer schwieriger. Eine bedarfsgerechte Pflege versucht, sich dieser Situation anzupassen und die schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach und nach durch eine wachsende Unterstützung und Betreuung aufzufangen. Ziel der Versorgung ist es auch hier, so lange wie möglich ein Leben im vertrauten Umfeld zu erhalten. Sollte eine Heimaufnahme im Verlauf der Erkrankung dennoch nicht zu umgehen sein, ist es sinnvoll sich über spezielle Angebote für Demenzkranke zu informieren und eine langsame Eingewöhnung des Erkrankten im Pflegeheim zu begleiten.

 

Was empfehlen Sie für den Umgang mit Demenzpatienten? Welche Hilfsangebote gibt es, wenn man Angehörige möglichst lange zu Hause pflegen möchte?
Der Umgang mit einem dementen Familienmitglied erfordert viel Geduld und zunehmend Kraft, weil die Erkrankten allmählich immer pflegeintensiver werden. Demenzpatienten brauchen eine permanente Ansprache und Beschäftigung, weil sie oft ängstlich werden, wenn sie sich alleine gelassen fühlen. Problematisch wird es besonders dann, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, Strukturen einzuhalten oder allmählich Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Manche Patienten verlieren jeglichen Eigenantrieb, verweigern Essen und Trinken, Medikamente oder die pflegerische Zusammenarbeit. Auch Aggressionen oder Selbstgefährdung kommen vor. Wenn Sie hier Unterstützung benötigen, bekommen Sie diese in dem für Ihren Wohnort zuständigen Pflegestützpunkt

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