Interview mit:
Dietmar Wörmann, hauptamtlicher Jugendleiter
des Christlichen Vereins junger Menschen (CVJM) in Betzdorf
Herr Wörmann, die Frage, wie Eltern das Thema Sterben und Tod kindgerecht aufbereiten können, ist keine leichte. Wie kann ich mein Kind an das Thema heranführen bzw. auf einen Todesfall vorbereiten?
Sicher muss man mit dieser Erfahrung sehr behutsam umgehen. Ich würde Kinder nicht frühzeitig konfrontieren, sofern keine Notwendigkeit besteht. Meistens wird das Thema in der Familie erst dann aufgegriffen, wenn ein Todesfall eintritt oder absehbar zu erwarten ist, so beispielsweise mit fortschreitendem Alter oder Krankheit der Großeltern. Dann sollte man die Kinder dafür sensibilisieren, dass zum Beispiel der Opa eines Tages nicht mehr da sein wird, und dass die gemeinsame Zeit endlich ist.
Sie sprechen den Prozess des Sterbens an. Wie nah sollte man Kinder mit Eindrücken konfrontieren, die mitunter sehr schmerzlich und einprägsam sein können?
Grundsätzlich sollte man Kinder nicht unnötig belasten, sondern ihnen die Ereignisse soweit nahe bringen, wie dies für ihr Verständnis erforderlich ist. Wir können Kindern nicht ersparen, dass sie den Verlust des Großvaters hinnehmen müssen, wohl aber, dass sie körperliche Schmerzen mit ansehen müssen. Allerdings sollten wir bei dieser Entscheidung nicht nur abwägen, was wir glauben verantworten zu können, sondern auch berücksichtigen, was das Kind möchte. Wenn ein Großvater beispielsweise über Jahre stationär im Pflegeheim liegt, kann es für die Enkelin mitunter normal sein, auch schmerzlichen Anblicken ausgesetzt zu sein. Vielleicht würde sie sich ein persönliches Abschiednehmen wünschen und würde unter dieser Situation vergleichsweise weniger leiden.
Das heißt, man sollte Kinder nicht zu sehr schützen, sondern ihnen bedingt auch Möglichkeiten zur Teilnahme einräumen?
Ja. Dies trifft zum Beispiel auch auf die Beerdigung zu. Wichtig ist, Kindern im Vorfeld Ablauf und Bedeutung des Geschehens einsichtig zu machen. Wenn ein Kind sich dann entscheidet, am letzten Geleit teilnehmen zu wollen, würde ich ihm dies nicht verwehren; nie aber würde ich einem Kind abverlangen, bei einem Begräbnis dabei zu sein. Letztlich muss man individuell entscheiden, was im Einzelfall der bestmögliche Weg für Trauer und Bewältigung ist.
Wie reagieren Kinder auf ein Todeserlebnis?
Zunächst meist mit kindlichem Trotz, das heißt mit Aufbegehren gegen den Todesfall. Empörungen wie „Ich will aber nicht, dass Oma stirbt!“ sind typische Reaktionen, ebenso Sorgen um das eigene Wohlergehen mit Fragen wie „Wer holt mich denn dann von der Schule ab, wenn Oma tot ist?“. Auffällig ist auch, dass Kinder meist noch eine Zeitlang im Präsens von der Bezugsperson sprechen, oder durchaus zwei Wochen nach der Beerdigung fragen können, wann wir denn Oma wieder einmal besuchen gehen. Kinder hinterfragen den Tod weniger tief als Erwachsene, aber mitunter brauchen sie mehr Zeit, bis sich ihr Wissen um das Todesereignis fest verankert hat. Darüber hinaus ist natürlich für die Verarbeitung maßgeblich, wie vertraut bzw. nah das Verhältnis zu dem Verstorbenen war.
Wie kann ich meinem Kind helfen, über den Verlust der geliebten Oma hinwegzukommen?
Wichtig ist, für das Kind da zu sein, in einer Trauersituation noch mehr als sonst. Nicht nur Ihr Kind, auch Sie, die gesamte Familie, muss mit dem Verlust umgehen. Der Tod bedeutet einen Einschnitt, und dieser sollte als solcher auch kenntlich sein. Sie sollten in der Familie nicht einfach zum gewohnten Alltag übergehen, sondern sich Zeit und Raum nehmen, um gemeinsam zu gedenken, um traurig zu sein, wütend, aufgebracht, oder um zu weinen. Die gemeinsame Trauer stärkt und unterstützt nicht nur Ihr Kind, sondern auch Sie selbst. Dabei kann es oft sehr tröstlich sein, wenn Sie Ihr Kind einfach nur in den Arm nehmen und zeigen, dass seine Traurigkeit Berechtigung hat, und dass auch Sie traurig sind.
„Und wo ist Oma jetzt?“, auf diese Frage werden Eltern sicher eine Antwort geben müssen. Wie erklären Sie Kindern den Tod?
Kinder brauchen vor allem positive, helle Bilder. Und wir Erwachsene sicher auch. Wichtig ist die Vorstellung, dass es der Oma gut geht dort, wo sie jetzt ist, dass sie zum Beispiel keine Schmerzen mehr hat, glücklich und zufrieden ist. Auch wenn es simpel klingt, das Bild, dass Oma im Himmel ist und von den Wolken herunterschaut, unsichtbar und doch anwesend, hat schon vielen Kinderherzen Trost gespendet. Entscheidend ist, dass Sie eine Antwort auf diese Frage geben und nicht, wie stimmig oder widerspruchsfrei Ihre Antwort ist. Kinder hinterfragen die Zusammenhänge nicht kritisch, sondern wollen sich eine schöne und beruhigende Antwort ausmalen. Und sie brauchen die Gewissheit, dass ihre Eltern verlässlich die Situation überblicken und im Griff haben, keinesfalls aber den Eindruck, dass diese angesichts des Todes überfordert sind. Eltern können und dürfen durchaus Gefühle und Ihre Trauer zeigen, allerdings nur in dem Maße, dass sie keine Unsicherheit oder Verzweiflung ausdrücken.
Haben Sie konkrete Ratschläge, womit wir Kinder praktisch bei der Bewältigung ihrer Trauer unterstützen können?
Kindern hilft, was auch Erwachsenen gut tut: Das gemeinsame Gedenken, beispielsweise das Durchblättern alter Fotoalben, Geschichten und Anekdoten, „Weißt du noch, wie der Opa dich zum ersten Mal mit dem Boot raus auf’s Meer genommen hat?“, oder das Aufsuchen von Großvaters Lieblingsplatz im Garten, das Nachkochen von Opas legendärem Sonntagseintopf und vieles mehr. Das nochmalige Durchleben von schönen Erinnerungen macht den Tod erträglicher.
Woran merke ich, dass mein Kind die Trauerarbeit erfolgreich meistert?
Als Anzeichen, dass die Auseinandersetzung weniger wird oder abgeschlossen ist, können wir nachlassendes Interesse werten. Wenn ein Kind zum Beispiel nicht mehr mit auf den Friedhof gehen möchte, sondern lieber weiter auf dem Spielplatz herumtobt, ist das meist ein Indiz, dass das Thema in den Hintergrund tritt und der Alltag wieder andere Schwerpunkte bekommt. Umgekehrt können deutlich schlechtere Schulnoten, sozialer Rückzug oder andere Auffälligkeiten ein Hinweis darauf sein, dass ein Kind das Todeserlebnis nicht ausreichend verarbeitet hat. Dann kann mitunter professionelle Hilfe eine sinnvolle Option sein; ratsam ist diese insbesondere auch dann, wenn Kinder enge Bezugspersonen wie Vater oder Mutter verlieren.